Goetz Hermann  

(1840 - 1876)

 

Ein Lyriker der Klänge

 

„… seine Augen leuchten genau so wie die von Hermann Götz“, nämlich die Augen von Engelbert Humperdinck. Den Vergleich zog Johannes Brahms in einem Brief an Clara Schumann am 23.12.1894. Da war Goetz, wie er sich eigentlich schrieb, schon 18 Jahre und 20 Tage lang tot. Noch zu Lebzeiten des sieben Jahre jüngeren Kollegen hatte Brahms anno 1875 dem Verleger Fritz Simrock Musik von Goetz ans Herz gelegt, nicht unbedingt dessen Klavierkonzerte - „… aber sonst kenne ich und wohl auch Sie hübsche Sachen von ihm, und die ‚Widerspenstige’ hat ihm Namen gemacht.“  

 

Tatsächlich wurde die komische Oper „Der Widerspenstigen Zähmung“ nach dem Erfolg der Mannheimer Uraufführung von 1874 eine Zeit lang häufig nachgespielt, galt als eine der besten heiteren Opern in deutscher Sprache und als originelle, phantasievolle Shakespeare-Vertonung. Zu den Verfechtern des Stücks gehörte Gustav Mahler, der es oft und mit größter Lust dirigierte und noch 1906 an der Wiener Hofoper gemeinsam mit Alfred Roller szenisch neu einstudierte. Mahler setzte sich ebenso für andere Werke des früh Verstorbenen ein. Brahms lobte 1877 auch die nachgelassene Dante-Oper „Francesca da Rimini“. Goetz hatte sich sogar eine Fertigstellung des Stücks durch Brahms gewünscht, der in Sachen Oper Unsichere gab diese jedoch an den Mannheimer Kapellmeister Ernst Frank weiter.

 

Die Augen des Hermann Goetz leuchten wahrlich aus den erhaltenen Photographien, die einen eher scheu und sehr ernst wirkenden jungen Mann zeigen. Er war der Sohn eines tüchtigen, wohlhabenden Bierbrauers aus Königsberg im damaligen Ostpreußen. Die Familie liebte die Künste, besonders die Musik. Schon als Kind spielte Hermann mit einer Cousine Klavier, ab dem 14. Lebensjahr versuchte er sich als Komponist von Klavierstücken und Liedern. In derselben Zeit erkrankte er an Tuberkulose, die zunächst halbwegs beherrscht werden konnte. Mit 17 begann er beim berühmten Pianisten Louis Köhler, der in Königsberg lebte, zielstrebig zu lernen. Ein Mathematikstudium blieb Episode. In Königsberg gab es ein lebhaftes bürgerliches Musikleben. Goetz wurde, wie er berichtete, „in reges dilettantisches Leben“ und „verschiedene musikalische Kreise gezogen und zum Dirigenten gemacht.“ Noch keine 20 Jahre alt, hatte er sich bereits „namentlich die Mozartschen Opern so bis ins kleinste“ erarbeitet, „wie man das eben nur beim Einstudieren erreicht.“ Im Jahr 1860 begab er sich nach Berlin, wo er am „Stern’schen Konservatorium“ mit klassischer Harmonielehre und Kontrapunktik vertraut und von Hans von Bülow, dem dortigen „ersten Lehrer des Klavierspiels“, tatkräftig gefördert wurde. „Sie gehörten zu den wenigen, die ich froh und stolz bin, unterrichtet zu haben“, schrieb ihm Bülow später. Zur Abschlussprüfung im April 1862 spielte er sein erstes, melodienseliges, formal etwas unbeholfen an Liszt orientiertes Klavierkonzert in Es-Dur und begann gleich darauf, selber zu unterrichten.

 

Nicht nur eine Anstellung, sondern vor allem die Hoffnung auf Gesundung in der besseren Luft der Alpen führte Goetz schon 1863 in die Schweiz. In Winterthur trat er die Stelle des nach Zürich berufenen Theodor Kirchner als Organist der evangelischen Stadtkirche an. Obwohl an der Orgel weitgehend Autodidakt, setzte er sich rasch durch, gründete einen kurzlebigen Gesangsverein, dem es leider chronisch an Männern mangelte, und fand viele Aufgaben im an Königsberger Verhältnisse erinnernden, hauptsächlich von enthusiastischen Liebhabervereinen getragenen, sehr häuslich orientierten Musikleben der Stadt. Bei den Sonntagskränzchen im Kasino fand er seine Gattin Laura. Bloß ein kleines Glück in der Provinz? Goetz, zwar kein Tastentiger, aber ein seelenvoller Interpret der Musik Beethovens oder Chopins, war als Pianist auch in Zürich und Basel ein gern gesehener Gast. 1865 lernte er Brahms, der die Schweiz als Sommerfrische liebte, kennen und schätzen. In Basel erlebte er seine ersten wirklich großen Erfolge als Komponist mit dem Klaviertrio op. 1 und dem 2. Klavierkonzert, in dem er einen näher bei Brahms als bei Liszt angesiedelten, eigenen Tonfall fand. 1870 übersiedelte er mit Frau und Tochter Margarethe nach Zürich, behielt aber seine Stelle in Winterthur noch für zwei Jahre, ehe er sie aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Das alpine Klima konnte seine Krankheit nicht heilen. Umso mehr stürzte er sich in sein Schaffen. Eine eigenartig poesievolle Symphonie, ein lyrisches Violinkonzert und wundersame Kammermusik machten ihn über die Schweiz hinaus bekannt, zum Durchbruch wurde die Shakespeare-Oper. Der tapfere Mann gab nicht auf. sondern arbeitete bis in seine letzten Tage hinein an der Dante-Tragödie. Am 03.12.1876 erlosch sein Leben. Hermann Goetz hat, frei nach Franz Grillparzers berühmten Worten über Franz Schubert, einen schönen Besitz, doch ebenso schöne Hoffnungen hinterlassen.

 

Hermann Goetz war kein Himmelsstürmer. Die Avantgarde seiner Zeit, Wagner und Liszt, hat er mit Interesse betrachtet, aber kaum etwas davon findet sich in seiner fest in der Wiener Klassik und der frühen Romantik begründeten musikalischen Sprache. Und doch hat er unverwechselbaren Ausdruck gefunden. Er war Melodiker reinsten Geblüts. Seine Melodien haben oft betörend lyrischen Zauber. Das Liedhafte dominiert, innige Stimmungskunst ist wesentlicher als aufrauschende Gebärde. Feines Sentiment gerinnt nie zur Sentimentalität. Das Schwelgerische, ja Ekstatische erscheint mitunter am Horizont wie ein ferner Traum, gewinnt jedoch nie die Oberhand. So gut dieser Komponist auch die symphonische Technik beherrscht, so frei geht er damit um, so überraschend wendet sich manche Formulierung ins Rhapsodische, ins Vegetative. Von den anerkannten Meistern seiner Generation ist es trotz der beiderseitigen Sympathie nicht nur der grüblerische Variationskünstler Brahms, sondern ebenso und in mancher Weise bedeutsamer der luzide Klangmaler Edvard Grieg, dem er an die Seite zu stellen wäre. Hört man sich durch das Werk des Hermann Goetz, so mag es verwundern, dass dieses nahezu nie im Konzertsaal zu erleben ist. Immerhin, es wird seit Jahrzehnten immer wieder neu entdeckt und eingespielt. Vielleicht kommt einmal die Zeit für eine Musik, die viel mehr innerlich leuchtet als äußerlich glänzt.

 

Gottfried Franz Kasparek

 

 

 

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